Bremen und die Welt. Als jemand, der sich seit fast 25 Jahren immer wieder mit der Zusammenarbeit in (teilweise internationalen) virtuellen Teams beschäftigt, der für seine Kunden bereits in den 90er Jahren zu diesem Thema Seminare konzipiert hat, staunte ich dieses Jahr bei mehreren Gelegenheiten nicht schlecht! Offenbar ist das Phänomen für einige völlig neu und für andere gar nicht existent!

Eine Gelegenheit war die Umfrage gemeinsam mit dem ProjektMagazin (= PM-Online). Ich verschickte einige Wochen lang Mails mit einem Hinweis auf diese Umfrage in meiner Mail-Signatur. Schließlich nahmen ca. 120 Menschen teil, die größtenteils Erfahrung der Leitung oder wenigstens mit der Arbeit in weltweiten virtuellen Teams hatten. Die Umfrage versuchte Antworten auf die Frage nach Akzeptanz, Zufriedenheit mit der Zusammenarbeit im Team, mit der Technik usw. von den Praktikern zu erhalten, die berufsmäßig „mitten im Geschehen“ agieren.

Die Ergebnisse erschienen wie im grauen Kasten rechts unten geschrieben, in der ProjektMagazin-Ausgabe vom 12.12.2018, und werden natürlich hier nicht verraten. Nur soviel vielleicht: Es gibt interessante Aspekte, die verschiedene Kardinalfehler im normalen „face-to-face“-Alltag eines Teams zur Falle für das Gesamtsystem machen, aber unter den   Bedingungen der Virtuellen Zusammenarbeit um so katastrophaler wirken. Ich heimste eine harsche Kritik von einem Fachmann ein, der sich darüber aufregte, dass es gar keine virtuellen Teams gäbe und dann die Schwierigkeiten in denselben ausführlich und anschaulich beschrieb.

Hier geht es mir um etwas ganz anderes. Ist es „Alter Wein in neuen Schläuchen“ oder „Guter alter Wein in heilen alten Schläuchen“? Mittlerweile einigermaßen genervt vom teilweise vollkommen sinnentleerten Buzzword Fighting im Zusammenhang mit der Digitalisierung und deren Folgen, stellte ich fest, dass einige Zeitgenossen das Phänomen virtueller Teams für eine Folgeerscheinung der Digitalisierung halten und an sich für etwas vollkommen Neues.

Da fiel mir mein Großvater ein (siehe Foto von ca. 1936) , der 1891 in New York geboren wurde als Sohn deutscher Einwanderer Mitte des 19. Jahrhunderts, und der Anfang der dreißiger Jahre beim Norddeutschen Lloyd angestellt und für die Koordination der nordeuropäischen Schleppschiffahrt zuständig war. Ich habe dann bei der einen oder anderen Gelegenheit in 2018 eine Folie gezeigt, die ihn und ein paar Daten über seine berufliche Tätigkeit zeigten.Er koordinierte die Schlepper in verschiedenen Ländern und kommunizierte dabei in mehreren Sprachen mithilfe von technischem Gerät wie z.B. Telefon, Seefunk, Telegraphie, Telegrammen und Post. Damals wie heute waren Liegenzeiten im Hafen oder auf Reede eine der wichtigsten Kostenfaktoren in der Schifffahrt.

Ich stellte dann die Frage, ob mein Großvater wohl der Leiter eines internationalen virtuellen Teams gewesen sein könnte. Danach ging die Diskussion meist in eine andere Richtung als vorher. Denn natürlich hat sich die Technik insbesondere die Kommunikationstechnik und die Technik der Datenspeicherung unglaublich schnell entwickelt und verändert, nur das Wesentlich war eigentlich geblieben:

Das Telefon ist auch heute nicht schneller in der Datenübertragung. Bevor man telefoniert, muss man sich überlegen, wen man warum und wann anruft usw. Einzig und allein die Art und Weise, die Geschwindigkeit der Speicherung und die Verfügbarkeit von Daten hat immer mehr Tempo aufgenommen.

Und natürlich auch die Art und Weise komplexer Datenverarbeitung. Kein Zweifel. Und das hat den Umgang mit ihnen natürlich radikal verändert.

Bei näherer Betrachtung aber kommt es einem ähnlich vor wie im letzten Rundschreiben dargestellt zum Thema Feedback in der VUKA-Welt…

Mein Großvater hatte weder „daily stand ups“ noch „fuck ups“! Der hatte „monthly sit downs“! Teilweise in London.

Er hatte seine Mitarbeiter im Ausland verstreut, er hatte – wenn man so will – Kunden, die selbstverständlich in mehreren unterschiedlichen Ländern arbeiteten. Auf jeden Fall stand er in koordinativem Kontakt zu Personen, die hunderte Meilen entfernt arbeiteten, in anderen Ländern, die andere Sprachen kommunizierten, in anderen Kulturen lebten und andere Mentalitäten besaßen. Und die er zu koordinieren und zu steuern hatte.

Anlässlich der sich daraus ergebenden Diskussionen staunte ich auch nicht schlecht. Es scheint,   wie bereits gesagt, weit verbreitete Überzeugung zu sein, dass die Existenz virtueller Teams ein  Ergebnis der Digitalisierung sei.

Virtuelle Teams sind nicht einmal erst mit der   Erfindung von Morse-Alphabet oder Telefonverbindung entstanden. Das Römische Reich hätte sich wohl kaum zu einem Weltreich ausweiten können ohne die zuverlässige Arbeit von und in virtuellen Teams. Ohne das riesige, gut ausgebautes Straßennetz in der gesamten damals bekannten Welt und die dazugehörigen berittenen „Botendienste“!

Die auf die ganze bekannte Welt verstreuten zentral gesteuerten Beamten taten ein Übriges.

Und gleichzeitig kommt man in solchen Diskussionen immer wieder zu dem Schluss, dass sich die eigentlichen wichtigen und essentiellen Themen in der Zusammenarbeit, z.B. die Schaffung vertrauensvoller Beziehungen zwischen den Teammitgliedern nicht mit der Beschaffung von Glasfaserkabeln erfolgreich bearbeiten lässt. Die Kommunikation als Basis von Vertrauen ist ganz im Gegenteil je nach Perspektive schwieriger geworden. Die Quantität ist kein Problem mehr, deswegen schwillt sie an. Die Qualität wird aber teils erst zum Problem, deswegen nimmt sie oft ab.

Als Basis von Vertrauen gilt noch immer Berechenbarkeit, also die Vorhersagbarkeit der Reaktionen und Aktionen der Partner im Team. Der eine muss sich auf den anderen verlassen können. Und das ist ja schon im normalen Team manchmal schwer genug. Im virtuellen Teams fehlt aber der direkte persönliche Kontakt, der neuerdings „face-to-face“ genannt wird und damit für viele der beteiligten Menschen aber einen fundamentalen Irrtum beinhaltet: „face-to-face“ klingt gut, hat aber zunächst nichts wirklich Persönliches. Und das geht theoretisch auch über eine ausgereifte und zuverlässige Videotechnik beispielsweise.

Wir sind es aber immer noch gewohnt, wenn wir Kontakt zu Menschen aufnehmen, unsere 5 Sinne einzusetzen, um abzuschätzen, mit wem wir es zu tun haben. Selbst in der besten aller Videotechniken bekommen wir davon nur 2 zu spüren: Den optischen Sinn und den auditiven Sinn. Es fehlt der taktile Kontakt (Händedruck!) und der Geruchssinn, der nichts wahrnehmen kann. Lassen wir den Geschmackssinn der Einfachheit halber mal außen vor, sind wir in der virtuellen Welt nur „halb von Sinnen“.

Und das macht es nach den Aussagen von  Seminarteilnehmern und auch von den Umfrageteilnehmern der aktuellen Umfrage im ProjektMagazin sehr schwierig, bei reinem „virtuellem Umgang“ eine wirklich belastbare Vertrauensbasis zu schaffen.

Die zunehmende Digitalisierung muss auch für virtuelle Teams kein Damokles-Schwert sein!   Erfolg und Zufriedenheit sind machbar!

Die Arbeit in virtuellen Teams kann gelingen, keine Frage! Sie kann viele Vorteile vereinen, wenn     bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Sie macht die Arbeit leichter, schneller und sogar besser einteilbar, vielleicht auch ortsunabhängiger. Sie kann auch zu Höchstleistungen führen. All das kann gelingen. Allerdings nur unter einer Bedingung:

Die Personen der Teammitglieder müssen wie in jedem erfolgreichen gruppendynamischen Prozess von Anfang an den wichtigen Weichenstellungen beteiligt gewesen sein und während der Zeit der Existenz eines virtuellen Teams als beteiligte Person erkennbar sein. Managing Diversity funktioniert, wenn zu Anfang darin investiert wird. Wenn sich die Teammitglieder persönlich  kennengelernt haben, die Technik zuverlässig funktioniert und offen und transparent kommuniziert wird. Dann greift VOPA+ (siehe Abbildung, Grafik: Scheer)!

Gut technisch vernetzt mit tatsächlich transparenter Kommunikation und Prozessgestaltung unter Einbezug aller Teammitglieder, kann auf der dann vorhandenen und stabilen Vertrauensbasis erfolgreich und agil gehandelt werden und so den Herausforderungen der VUKA-Welt (Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität) nicht nur getrotzt werden, sondern auch befriedigende und begeisternde Zusammenarbeit entstehen.